BEATRIX

„Wir sollten nicht annehmen, dass Frauen* die Lösung aller Probleme sind.“

Beatrix

Ich bin die Ältere von zwei Kindern und habe früh miterlebt, was es bedeutet, in der Gesellschaft benachteiligt zu sein. Meine Eltern sind beide gehörlos und erfahren viele Diskriminierungen. Unter anderem werden sie bei Gesprächen zwischen hörenden Personen fast immer ausgeschlossen oder übergangen. In der Schule haben viele Lehrpersonen gleich angenommen, dass wir Kinder nicht so gut Deutsch können, weil wir mit der Österreichischen Gebärdensprache aufgewachsen sind. Dabei sind wir zweisprachig aufgewachsen, wir haben die deutsche Sprache ja trotzdem gelernt.

Ich bin später in die Tourismusschule gegangen und habe dann Wirtschaft studiert. Rückblickend betrachtet war die Studienwahl eine vorschnelle Entscheidung. Ich habe da nicht lange überlegt. Heute denke ich, ich hätte mir für diesen Schritt viel mehr Zeit nehmen sollen. Nach dem Studium war ich beim AMS arbeitssuchend gemeldet und habe den Vorschlag bekommen, mich beim AMS als Beraterin zu bewerben. Da traut man sich natürlich nicht „Nein“ zu sagen! (lacht) Und das war am Ende sehr gut so. Ich habe während der Arbeit als Beraterin gesehen, dass Personen, die lange arbeitslos sind, nicht aufgrund eigener Fehler arbeitslos sind, sondern weil unsere Gesellschaft sie häufig ausschließt, weil sie gewisse Einschränkungen haben, körperlich, sprachlich oder anderweitig. Und das AMS tut was es kann, um diese Personen in der Beratung möglichst gut zu unterstützen.

Seit über einem Jahr bin ich beim AMS Tirol Gleichstellungsbeauftragte für den Arbeitsmarkt. Wie das Thema Geschlechtergerechtigkeit mir wichtig geworden ist, kann ich gar nicht richtig sagen. Wir haben zuhause einen kleinen Bauernhof. Da bin ich immer gerne mit dem Traktor gefahren. Meine Eltern haben mich dabei und bei allen anderen traditionell männlich gesehen Tätigkeiten voll und ganz unterstützt. Aber irgendwann ist mir schon aufgefallen, dass andere Personen bei mir besonders genau geschaut haben, ob ich das ordentlich mache, ob ich das kann. In der Schule und auch bei mir im Umfeld gab es natürlich ganz viele klassische Rollenbilder. Lange Zeit fand ich das normal, habe das nicht hinterfragt. Spätestens mit meinem Masterstudium Gender, Kultur und Sozialer Wandel hat sich das sehr verändert.

Es herrscht Mangel. Aber woran?

Das AMS hat in einer Studie festgestellt, dass wir vor allem mehr Möglichkeiten für Kinderbetreuung brauchen, wenn wir gleiche Jobchancen für Frauen* schaffen wollen. Aber das allein wird die Probleme nicht lösen. Wenn die Frau* nämlich trotzdem für alles zuständig sein muss, und wenn die Betriebe denken, dass eine Frau* nach der Karenz weniger qualifiziert ist als Männer*, die nicht in Karenz waren, dann wird sich nicht viel ändern. Die Rollenbilder sind der wichtigste Punkt, an dem wir ansetzen müssen.  Wir sollten nicht annehmen, dass Frauen* die Lösung aller Probleme sind. Wenn finanziell und politisch nicht gefördert wird, dass Männer* in Karenz gehen, dann wird sich nur schwer etwas ändern. In skandinavischen Ländern kann beobachtet werden, dass es möglich ist, Männer* zur Karenz zu motivieren. Der Mann* kann doch sonst auch alles besser! Warum dann nicht die Kinderbetreuung? (lacht)

Ich glaube, ein paar wenige gehen aktuell in Teilzeit, weil sie es sich leisten können und mehr Freizeit haben wollen. Das ist aber sehr selten. Die meisten wollen voll arbeiten. Die meisten Frauen* gehen wegen der Kinderbetreuung in Teilzeit, die meisten Männer* wegen Weiterbildungen oder einer Altersteilzeit. Und Kinderbetreuung ist keine Freizeitbeschäftigung – das ist Arbeit!

Eine wirklich gleichberechtigte Zukunft

Ich wünsche mir, dass unsere Gesellschaft barrierefrei wird – zum Beispiel im öffentlichen Verkehr oder am Arbeitsmarkt, da merke ich durch meine Eltern, dass es noch an vielem fehlt. Und ich wünsche mir, dass die Studien des AMS irgendwann ihre Zahlen nicht mehr nach Frauen* und Männern* aufschlüsseln müssen. Weil es keinen Unterschied mehr zwischen den Berufswegen und dem Verdienst von Frauen* und Männern* gibt.

März 2023

Skip to content