Christina

Mädchen* lernen heute unbewusst, dass sie alles selbst schaffen müssen, um gleichwertig zu sein.“

Ich bin in Mayrhofen geboren, als zweites von vier Kindern. In meiner Familie gab es eine ganz klassische Rollenverteilung: Die Mama war daheim, der Papa hat gearbeitet. Als ich zehn Jahre alt war, hat mein Vater seinen Beamtenberuf aufgegeben und ist freischaffender Künstler geworden. Das hat mich sehr geprägt. Ich bin immer mit dem Bewusstsein aufgewachsen, dass ich das tun soll, was mir Spaß macht. Dass das beste Gehalt nichts nutzt, wenn mir die Arbeit keinen Spaß macht.

Traumrolle Mutter

Ich war schon mit knapp 17 Jahren in meiner ersten ernsthaften Beziehung und hatte schon ganz früh einen Kinderwunsch. Wir sind nach der Matura nach Graz gezogen und ich habe die Ausbildung zur Volksschullehrerin begonnen, aber das war nicht das Richtige für mich. Dann habe ich die Ausbildung zur Tagesmutter gemacht und habe bald zwei eigene Kinder bekommen. Ich bin zu der Zeit in meiner Rolle total aufgegangen, war glücklich. Als wir wieder ins Zillertal gezogen sind, habe ich zuerst freiberuflich in der Kinderbetreuung gearbeitet. Zusätzlich habe ich das Kindergartenkolleg gemacht, das war eine intensive und anstrengende Zeit.

In dieser Zeit habe ich mich sehr verändert. Ich weiß nicht, ob es an der Mehrfachbelastung lag, jedenfalls habe ich mich in dieser Zeit von meinem Mann getrennt. Danach habe ich eine neue Stelle angenommen, mit abgeschlossener Ausbildung und gruppenführend, die Bezahlung war besser, und es hat mir viel Spaß gemacht. Dann kam eine neue Beziehung, und noch eine Schwangerschaft. Als unser Sohn auf die Welt kam, war er leider nicht ganz gesund. Er hatte eine relativ ausgeprägte Entwicklungsverzögerung. Ursprünglich wollten wir noch ein Kind, jetzt haben wir aber gezögert, und schließlich bin ich doch nochmals schwanger geworden – und wir haben noch Zwillinge bekommen. Da war ich dann eine Weile ausgelastet, mit fünf Kindern!

Als wieder Luft für einen Beruf war, habe ich erneut begonnen, als Tagesmutter zu arbeiten. Das war für mich perfekt. Das ist nach wie vor perfekt. Ich arbeite aktuell mit sieben Kindern zwischen anderthalb und drei Jahren. Und mit deren Familien natürlich. Was ich oft beobachte, ist, dass die Eltern sich selbst und einander viel Druck machen: Was das Kind schon können sollte, was man alles richtig machen muss. Als Mutter von fünf Kindern und Pädagogin sage ich ihnen oft: Jedes Kind ist anders, auch wenn du dich bei allen gleich verhältst. Ihr könnt gar nicht so viel beeinflussen, wie ihr glaubt. Ihr könnt euch diesen Druck gerne wegnehmen.

Von der Herausforderung einer klischeefreien Erziehung

Mir war es immer wichtig, dass ich selbst versichert bin und mein eigenes Geld verdiene. Ich möchte das auch meinen Töchtern mitgeben. Wenn sie mitkriegen, dass ihre Mama unabhängig ist, das macht schon einen Unterschied.

Dass Buben mit Puppen und Mädchen mit Autos spielen dürfen, das ist für mich nichts Neues. Mein Sohn lässt sich auch gerne von seiner Schwester die Nägel lackieren, und das ist überhaupt kein Thema. Aber ich stoße an eine Grenze, wenn ich an die Schule denke. Auf der einen Seite hätte ich gerne, dass ich es gar nicht thematisieren muss, auf der anderen Seite weiß ich aber, dass er in der Schule mit anderen Reaktionen zu rechnen hat. Da habe ich das Gefühl, dass ich ihn darauf vorbereiten muss. Dann sage ich: “Ja, du darfst gerne mit pink lackierten Fingernägeln in die Schule gehen, aber wahrscheinlich lachen manche Kinder. Oder sagen etwas Blödes.” Dann kann er selbst entscheiden, ob er sich dem aussetzen will. Ich hoffe, dass irgendwann alle bereit sind, das als normal zu behandeln.

Bei Bilderbüchern habe ich lange Zeit überhaupt nicht genauer hingesehen. Als es mir dann aufgefallen ist, war ich ganz überrascht. Es gibt Kinderbücher, da trägt jede Frau* einen Rock. Oder alle Mädchen* sind blond und alle Buben* braunhaarig. Ich glaube schon, dass das etwas bei den Kindern bewirkt. Nicht nur, was das Geschlecht betrifft, auch die Hautfarbe, oder wenn Menschen mit einer Behinderung dargestellt werden. Beim Vorlesen von Büchern vertausche ich jetzt manchmal einfach das „Er“ und „Sie“ und schaffe damit ganz unkompliziert Abwechslung.

Auch als Tagesmutter kann ich Akzente setzen. In 95 Prozent der Fälle kommt die Mutter zum Erstgespräch, aber ich bemühe mich beide Elternteile aktiv mit einzubeziehen. Bewusster als früher. Es gibt natürlich immer wieder Väter, die sehr involviert sind, das freut mich.

Was ich Kindern mitgeben möchte

Wichtig ist mir, dass die Kinder bei mir lernen, dass sie sich auch Hilfe holen dürfen. Das betrifft die Mädchen* noch mehr als die Jungen*. Weil ich den Eindruck habe, Mädchen* lernen heute unbewusst, dass sie alles selbst schaffen müssen, um gleichwertig zu sein. Dass sie beweisen müssen, dass sie es können. So wie Frauen* heute so vieles gleichzeitig leisten müssen.

Was meine älteste Tochter sehr stört, sind klischeehafte Happy Ends in Büchern oder Filmen: Mann, Frau, Kind. Sogar bei den Hunger Games, einem Film, in dem die Protagonistin vorher eine richtig selbstbewusste, starke Frau* ist, da ist das Schlussbild so klassisch. Darum haben wir dazu ein Motiv für den frauen*politischen Adventskalender gemacht.

Was ich mir für Frauen* wünsche

In den ländlichen Gegenden, wie bei uns im Zillertal, da dauern die Veränderungen länger. Zum Beispiel der Ausbau an Kinderbetreuungsmöglichkeiten, das dauert ewig. Es wird oft noch vorausgesetzt, dass jemand sowieso zuhause ist. Das gilt auch für die Pflege von älteren Menschen.

Ich wünsche mir einerseits, dass Care-Arbeit nicht mehr nur Frauen*sache ist, und andererseits, dass diese Tätigkeiten einfach einen höheren Stellenwert bekommen. Wenn ich als Frau sage: Ich möchte gern daheim bleiben und diese Arbeit leisten, dann soll die Gesellschaft das anerkennen und sie dafür auch entlohnen. Solange das nicht bezahlt wird, wird sich aber nichts ändern.

Februar 2024

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