„Eine Investition in Kinder und Jugendliche ist die Investition in eine gewaltfreiere Zukunft.“
Weshalb ich bin, wer ich bin
Ich geh mal weit zurück, in meine Kindheit. Glücklicherweise bin ich in einem Elternhaus aufgewachsen, in dem Gerechtigkeit eine große Rolle gespielt hat. Meine Eltern haben mir das vorgelebt. Es war selbstverständlich, dass mein Bruder, als Bub, im Haushalt das gleiche machen muss, wie ich als Mädchen. Und es war auch selbstverständlich, dass Mädchen auch auf Bäume klettern und Baumhütten bauen. Das Geschlecht machte keinen Unterschied, weder was Pflichten und Aufgaben anging noch bei der Verteilung von Ressourcen. Streikte mein Bruder beim Abwaschen, dann streikte ich auch. Allerdings habe ich auch früh gelernt, dass das zwar in unserer Familie so ist, allerdings nicht wie Gesellschaft insgesamt tickt. Ich hätte einen Palmbusch tragen sollen, während mein Bruder stolz die Palmlatte tragen durfte. Auch da hab‘ ich gestreikt. Gesellschaftliche Bedingungen machen Unterschiede zwischen Frauen und Männern, das hat mich früh geprägt, in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit und Feminismus. So wählte ich auch ein Studium, das sich mit diesen Fragstellungen auseinandersetzte. Ich studierte Erziehungswissenschaften und machte zuvor die Ausbildung zur Kindergartenpädagogin.
Vor 23 Jahren begann ich mit Kindern und Jugendlichen im Tiroler Frauenhaus, beratend und begleitend, zu arbeiten. Eine Investition in Kinder und Jugendliche ist die Investition in eine gewaltfreiere Zukunft, also Präventionsarbeit. Mein Ursprungsberuf und das Studium sowie mein Anspruch, mich für mehr Geschlechtergerechtigkeit einzusetzen, bildeten die perfekte Kombination für die Arbeit im Frauenhaus. Seit 2006 bin ich dort Geschäftsführerin. Beruflich ist mein bisher größter Erfolg der Neubau des Frauenhauses. 18 Jahre hat es gedauert und im vergangenen September war es dann endlich bezugsfertig. Jetzt haben wir deutlich mehr Platz für betroffene Frauen und Kinder und sind endlich auch barrierefrei zugänglich. Das ist eine unglaubliche Errungenschaft, wenn wir bedenken, wieviel Hürden und Stolpersteine es zu überwinden galt.
Abhängigkeitsverhältnisse steigern das Risiko Gewalt zu erfahren
Was bedeutet Frausein in Österreich? Auf den ersten Blick sehe ich Frausein in Österreich als nicht so schlecht, bei genauerer Betrachtung sehe ich viel Aufholbedarf und viele Benachteiligungssituationen. Beispielsweise was die Forderung nach gleichem Lohn für gleichwertige Arbeit angeht, denn die Gehaltsschere klafft viel zu weit auseinander. Und im direkten Zusammenhang damit steht meine Arbeit in einer Opferschutzeinrichtung. Abhängigkeitsverhältnisse steigern das Risiko Gewalt zu erfahren immens. Und diese Abhängigkeitsverhältnisse sind gemachte Verhältnisse. Der Staat hätte diese längst abbauen müssen. Zudem gibt es in Österreich noch viel zu wenig verfügbare und leistbare Kinderbetreuungsplätze. Frauen sind vielfach immer noch automatisch für die Kinderbetreuung zuständig und damit schlechter gestellt.
Wenn ich an Frausein in Österreich denke, dann denke ich an Frauen mit Migrationshintergrund, die mit sehr vielen Abhängigkeitsverhältnissen konfrontiert sind; zum Beispiel haben Frauen, die im Rahmen eines Familiennachzuges nach Österreich kommen, fünf Jahre lang keinen eigenen, vom Mann unabhängigen Aufenthaltstitel. In gewaltvollen Beziehungen ist das sehr gefährlich für die betroffenen Frauen.
Positiv fällt mir zum Frausein in Österreich, die klarere und selbstverständlichere Thematisierung von Gewalt ein. Diesbezüglich hat sich die gesellschaftliche Meinung verschoben und es gibt mehr Unrechtsbekundungen, was die Misshandlung von Frauen angeht.
„Ich hätte einen Palmbusch tragen sollen, während mein Bruder stolz die Palmlatte tragen durfte. Auch da hab‘ ich gestreikt. Gesellschaftliche Bedingungen machen Unterschiede zwischen Frauen und Männern, das hat mich früh geprägt, in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit und Feminismus.“
Frauen mit Ressourcen ausstatten
Frauen Raum zu geben bedeutet sie mit Ressourcen auszustatten, damit sie gleichberechtigt leben können. Und zwar mit finanziellen und emotionalen Ressourcen. Frauen Platz geben und sichtbar machen bedeutet, es ist selbstverständlich, dass die Hälfte der Erde, mit all ihren Reichtümern, Frauen zur Verfügung steht! Und drittens bedeutet es, im beruflichen Kontext, Frauen, die Gewalt erfahren haben, einen sicheren Wohnort zu geben wo sie, in Ruhe und in Sicherheit, überlegen können wie sie ihr Leben, bestenfalls ohne Gewalt, weiterleben wollen.
Mutig sein
Ich wünsche mir mehr Ernsthaftigkeit was das ThemaGewalt an Frauen und Kinder angeht. Mutiges und ernsthaften Hinschauen auf ein Thema und die gesellschaftlichen Bedingungen, die Gewalt hervorbringen. Denn es sind diese gesellschaftlichen Bedingungen, die Gewalt auch minimieren können, hin zur Gewaltfreiheit. Das wünsche ich mir von den Verantwortlichen in der Politik und von allen Menschen, die Verantwortung tragen. Darin steckt das Wort Antwort und dieses ernsthafte Antworten auf die Thematik der Geschlechterungerechtigkeit hin zu mehr Gerechtigkeit.
Und Spaß haben
Neben dem Mut, den ich mir wünsche und erwarte, sag ich zu allen Frauen im Land: Sei mutig und hab Spaß dabei. Ja, dieser Spruch, der begleitet mich schon lange.
Dezember 2019
Dieser Beitrag ist im Rahmen eines Interviews von Frauen im Brennpunkt mit Gabi Plattner, Geschäftsführerin Frauenhaus Tirol, entstanden.
Mai 2020