Gabriele

„Wir sollten uns öfter auf die Schulter klopfen.“

Mein beruflicher Weg hat mich von der Hotellerie über die Universität in die Selbstständigkeit geführt. In meiner Arbeit war mir immer wichtig, mit anderen gut in Kontakt zu sein und mich zu fragen: Was braucht die Organisation? Was brauchen die Menschen, mit denen ich arbeite? Heute begleite ich als Trainerin Menschen und Organisationen in Veränderungsprozessen.

Ein beruflicher Neustart – mit Kind

Ich bin recht spät Mutter geworden. Das war der Moment, in dem ich gespürt habe: Wenn du es ernst meinst mit der Selbstständigkeit, dann jetzt. Ich habe viel gearbeitet in meinem Leben, mein ganzes Wertegerüst war auf Leistung aufgebaut. Ich habe mich in dem Prozess gezielt unterstützen lassen und hatte das Glück, dass mein Partner gesagt hat: Wir schaffen das gemeinsam.

Vereinbarkeit braucht Klarheit

Es ist eine große Herausforderung, sich als Mutter Raum für Erwerbsarbeit freizuschaufeln. Das muss man sich wirklich aktiv nehmen. Ich kann Frauen* nur empfehlen, sich bewusst zu machen, wo sie beruflich und privat hinmöchten. Je klarer die Ziele und Vereinbarungen – mit sich selbst, mit dem Unternehmen, mit der Familie -desto besser gelingt auch der Weg dorthin.

Ich denke da gerne in „Stakeholdern“. Das ist zwar ein Begriff aus dem Businessbereich, aber im Grunde heißt das: Wer in meinem Umfeld hat ein Interesse daran, dass es gelingt? Alle diese Personen muss ich ins Boot holen.

Geteilte Führung als Chance

Mich beschäftigt sehr, wie Veränderung gut gelingen kann, für Einzelne wie für Organisationen. Geteilte Führung ist da ein starkes Modell: Sie ermöglicht Vereinbarkeit, nicht nur für Frauen*, sondern auch für Männer*, zur Angehörigenpflege, für Weiterbildungen, in unterschiedlichen Lebensphasen.

Es gibt viele Modelle für geteilte Führung, zum Beispiel nach Zeit, nach Aufgaben, als Tandem oder interdisziplinär. Was es braucht, ist der Mut, Dinge neu zu denken und es müssen alle Beteiligten frühzeitig eingebunden werden. Wenn das gelingt, entsteht eine Win-Win-Situation: Denn für die Unternehmen ist das eine echte Chance, die Fluktuationskosten zu senken und sich attraktiv für Fachkräfte zu machen.  

Es braucht Role Models

Ich bin überzeugt: Wir brauchen mehr Frauen* in Führungspositionen, auch und gerade in Teilzeit. Sichtbarkeit schafft Vorbilder. Ich erinnere mich an eine Chefin an der Uni: Sie ist konsequent um 14 Uhr nach Hause gegangen, weil sie Familie hatte, und hat dann eben später weitergearbeitet. Diese Konsequenz hat ihr Respekt verschafft. Solche Vorbilder brauchen wir, auch, um gläserne Decken zu durchbrechen.

Gleichzeitig sage ich klar: Teilzeit muss man sich leisten können. Die Realität ist oft, dass in einer Partnerschaft der Mann* der Besserverdiener ist und die Frau* zurücksteckt, in Karenz geht und danach in Teilzeit bleibt. Mit allen finanziellen Risiken: weniger Einkommen, geringere Pension, höhere Gefahr von Altersarmut. Deshalb braucht es Bewusstseinsbildung, transparente Informationen und die Stärkung des Selbstwertes: Ich darf verhandeln und fordern, um meine Zukunft zu sichern.

Wir müssen aufhören, zu bewerten

Was mich besonders beschäftigt, ist der Druck, den viele Frauen* im Alltag verspüren: Bin ich eine gute Mutter, wenn ich den Kuchen für den Kindergeburtstag kaufe, statt selbst backe? Wenn mein Kind bis 16 Uhr in der Betreuung ist? Dieses ständige Sich-vergleichen, das schlechte Gewissen hängt oft mit dem aufgeladenen Begriff der „guten Mutter“ zusammen. Und mit dem, was wir selbst über Rollen und Erwartungen gelernt haben.

Ich wünsche mir, dass wir wegkommen von ständigen Bewertungen, hin zu mehr Gleichwertigkeit und vor allem Gleichwürdigkeit. Nicht nur zwischen Frauen* und Männern*, sondern zwischen unterschiedlichen Lebensentwürfen und Persönlichkeiten. Dass wir einander mit weniger Vorurteilen begegnen. Und ich wünsche uns Frauen*, dass wir uns selbst und anderen Frauen* öfter auf die Schulter klopfen. Dass wir uns sagen: Du machst das gut.

Juni 2025