Lore

„Zeit hilft.“

Ich bin in Innsbruck aufgewachsen und in die Schule gegangen. Im Jahr 2000, da war ich 17 Jahre alt, hat sich die erste schwarz-blaue Bundesregierung gebildet. Das war ein echter Bruch im österreichischen politischen System, den man sich heute kaum noch vorstellen kann. Das hat mich motiviert, Politikwissenschaft zu studieren. Nach meinem Abschluss habe ich einen Master an der London School of Economics gemacht und bin dann wieder nach Innsbruck zurückgekehrt. Seit 2017 arbeite ich hier am Institut für Politikwissenschaft.

Porträtfoto, Lore

Von Rollenbildern und Quotenfrauen

In meiner Familie waren alle Naturwissenschaftler:innen. Wir haben am Familientisch viel diskutiert, aber ich kann mich nicht erinnern, dass Gleichberechtigung ein großes Thema war. Meine Eltern haben eine sehr gleichberechtigte Ehe geführt, und zwischen mir und meinem Bruder gab es keinen Unterschied in der Erziehung. Ich hatte nie das Gefühl, als Mädchen benachteiligt zu sein. Meine Mutter musste zwar hinnehmen, dass es ihre Karriere gebremst hat, als sie Kinder bekommen hat, aber ich glaube nicht, dass sie das bereut hat.

Heute bin ich oft die „Quotenfrau“ am Institut. Ich bin im Moment die einzige Frau unter den Lehrenden, da alle meine Kolleginnen gerade in Karenz sind. Das bedeutet, dass ich sehr oft für Gremienarbeit oder Prüfungen herangezogen werde, einfach weil eine Frau gebraucht wird. Es ist anstrengend, aber ich sehe auch, dass es einen Unterschied macht, ob nur Männer am Tisch sitzen oder eben nicht.

Demokratie und Gleichberechtigung

Obwohl Demokratie nicht automatisch Gleichberechtigung garantiert, bietet sie doch die besten Voraussetzungen dafür. In einer Diktatur könnte man theoretisch einfach beschließen, dass ab sofort alle gleichberechtigt sind. Aber in der Realität funktioniert das nicht. Unsere demokratischen Systeme waren eigentlich auf einem guten Weg, immer weiter auf diese Gleichberechtigung hinzuarbeiten. In Österreich gab es zusätzlich die sogenannte demokratische Verspätung. Nach 1945 sind viele, die schon vorher politisch aktiv waren, wiedergekommen – das waren alles Männer. Frauen waren im Nationalsozialismus zehn Jahre lang politisch praktisch unsichtbar. Das führte später dazu, dass Frauen in die von Männern geprägten politischen Strukturen eintreten und sich ihnen anpassen mussten.

Es braucht Zeit, aber die Zahlen entwickeln sich in eine positive Richtung. Allerdings sehen wir in den letzten Jahren auch, dass mit dem Erstarken von Rechtsparteien und existenziellen Krisen Fortschritte zurückgedrängt werden können. Die Demokratie gibt uns die Möglichkeit, dagegen anzukämpfen und für unsere Rechte einzustehen. Sie ermöglicht es uns, den Diskurs zu führen und Veränderungen anzustoßen, auch wenn es manchmal langsam geht.

Die langsame Veränderung der Gesellschaft

Wenn ich auf die letzten 20 Jahre zurückblicke, sehe ich, dass sich vieles zum Positiven verändert hat. Die Art und Weise, wie Frauen in der Politik behandelt werden, hat sich massiv geändert. Wir haben jetzt eine Justizministerin, die im Amt ihr zweites Kind bekommt – das wäre früher undenkbar gewesen.

Ich glaube, der Schlüssel zur Gleichberechtigung ist, dass wir für alle Lebensentwürfe gleiche Voraussetzungen schaffen. Es wird Frauen geben, die fünf Kinder haben und Hausfrauen sein wollen, und solche wie mich, die kinderlos sein wollen. Die Gesellschaft muss eine Akzeptanz für all diese Lebensentwürfe finden.

Die Zukunft gestalten

Es stimmt mich zuversichtlich, dass Mädchen und Burschen heute wirklich gleiche Bildungschancen haben. Bildung ist nicht mehr eine Frage des Geschlechts. Ich habe zwei kleine Nichten, und ich habe keine Sorge, dass sie irgendetwas nicht machen können, weil sie Mädchen sind.

Auch im Sport sieht man positive Entwicklungen. Vor zehn Jahren wurden Frauenfußballerinnen noch belächelt, heute werden sie bejubelt und spielen vor großem Publikum. Es gibt immer mehr Sensibilität für Gleichberechtigung, sei es bei Musikfestivals, in der Literatur oder in der Kunst.

Natürlich passieren immer noch Fehler, aber wenn wir auf das Positive schauen, sehen wir, dass vieles selbstverständlicher wird. Wenn man eine Momentaufnahme von vor 20 Jahren mit heute vergleicht, erkennt man, dass die Selbstverständlichkeit der Gleichberechtigung immer besser geworden ist. Und in 20 Jahren wird es nochmal besser sein. Zeit hilft eben – auch wenn es manchmal langsam geht.

Juni 2024

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